Wie auch bei dem lange Johann Christian Bach zugewiesenen Konzert in c-Moll handelt es sich bei dem Georg Friedrich Händel zugewiesenen Konzert in h-Moll um eine Fälschung von Henri Casadesus. In dem Aufsatz «Apokryph, Plagiat, Korruptel oder Falsifikat» (in:
Die Musikforschung, 20. Jg., Heft 4, Kassel 1967, S. 413-425) stellt Walter Lebermann unmissverständlich klar, dass beide Konzerte keinen Bezug zu den Komponisten des 18. Jahrhunderts haben. Außerdem kann sich Lebermann auf eine Auskunft der Witwe von Henri Casadesus berufen, die die Fälschungen ihres Mannes bestätigt.
Schon bald nach dem Erscheinen im Jahre 1924 bei dem Verlag Eschig in Paris (das Konzert erschien dort auch in Solofassungen für Violine, Violoncello, Oboe und Trompete) kamen Zweifel an der Echtheit der vermeintlichen Komposition Händels auf, gegen die sich Henri Casadesus mehrmals beschwichtigend verteidigte, indem er beteuerte, dass es sich um eine Originalkomposition handeln würde – allerdings ohne weitere Informationen preiszugeben.
Zweifel klingen auch in einem englischen Zeitungsartikel an, der am 3. Dezember 1943 unter dem Titel «Editing old Music. Ethics of Treatment» in
The Times in London veröffentlicht wurde: «Between composer and listener there is an intermediary – the performer. [...] [H]owever, [there is] another intermediary, who operates between composer and performer in music written before the last quarter of the eighteenth century.
He is the editor. His work is necessary to the modern performance of old music since in the evolution of the art changes of instrument, of convention, of notation, have separated the executant from an understanding of the old composer's text. The editor may have to transcribe from lute or harpsichord to piano; he may have to realize a figured bass; he may have to interpret for singers the graces which tradition has almost forgotten. In all these and other such matters three things are required of him – knowledge, honesty and taste.
Handel and the viola provide convenient object lessons of the way an editor should and should not set about his task. There is a concerto in B minor scored for two flutes and strings, not to be traced in the list of Handel's works, but falling agreeably upon the ear. Its editor, Henri Casadesus, who prepared it for a Paris society interested in old instruments and their music, does not explain the suspicious fact that it is cast in only three movements – an andante between two allegro movements. Nor does he say where he found the music, or whether it was written originally for viola d'amore. He covers his tracks.»
Auch der Händel-Forscher Hans Joachim Marx berief sich auf Lebermann. Dieser habe 1967 «überzeugend dargelegt, daß die Komposition keine 'Rekonstruktion' aus überliefertem Quellenmaterial ist, sondern eine dem Händelschen Stil nachempfundene Fälschung des bekannten Viola-Virtuosen Henri Gustave Casadesus (1879-1947). Da sich weder handschriftliche Vorlagen noch thematische Entlehnungen aus gesicherten Werken Händels nachweisen lassen, kann auch nicht von einer Bearbeitung oder Orchestrierung gesprochen werden. Ähnlich wie bei dem von seinem Bruder Marius Casadesus (1892-1981) herausgegebenen, Mozart zugeschriebenen 'Adelaide'-Konzert KV Anh. 294a, hat Henri Casadesus versucht, mit dem 'Händel'-Konzert die im Entstehen begriffene Alte-Musik-Szene mit einem anscheinend unbekannten Werk Händels zu verblüffen. Obwohl die Komposition spätestens seit 1967 als Fälschung bekannt ist, hat der Verlag der Erstausgabe sie unter Händels Namen wiederholt nachgedruckt (zuletzt 2000). Als ein Werk Händels ist es verschiedentlich auch eingespielt worden, u.a. von William Primrose mit dem RCA Victor Symphony Orchestra unter der Leitung von Frieder Weissmann (PEARL, Gemm CD 9252, LC 1836), wiederaufgelegt unter dem Namen Casadesus als
Viola Concerto in the Style of Handel (Naxos 8.110316).»
(Siehe Hans Joachim Marx und Steffen Voss,
Die G. F. Händel zugeschriebenen Kompositionen, 1700-1800 / The compositions attributed to G. F. Handel, 1700-1800 (HWV Anh. B), Hildesheim 2017, Anh. B, F 03, S. 221-223, sowie:
https://www.americanviolasociety.org/PDFs/Education)
Das Orchester ist übrigens folgendermaßen besetzt: 2 Fl., 2 Fag. und Streicher.