Eine Musikzeitung trotzt allen Stürmen |
Seit 14 Jahren manövriert Katrin Spelinova die Schweizer Musikzeitung SMZ mit ruhiger Hand durch gefährliche Untiefen und bedrohliche Orkane. Die selbsterklärte Generalistin mit breiter Berufserfahrung brachte das wiederholt totgesagte publizistische Flaggschiff der Musikwelt mit Beharrlichkeit auf Kurs.
Niklaus Rüegg – Im Jahr 1998 lancierte der neu gegründete «Verein Schweizer Musikzeitung», bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der grossen Musikverbände, die erste Ausgabe des neu konzipierten Fachblatts für Musik. Zuvor gab jeder dieser Verbände sein eigenes Verbandsorgan heraus. Als das Bundesamt für Kultur BAK Ende der 1990-er Jahre die Unterstützungsbeiträge für Institutionen kürzte, wurde es finanziell eng für die Verbände. Das BAK schlug vor, ein gemeinsames Presseorgan ins Leben zu rufen. Das Konzept war verblüffend einfach und funktionierte von Anfang an sehr gut: Die Verbände mieten sich monatlich mit einer, zwei oder auch mehreren Seiten in der SMZ ein und können so ihre Verbandsnachrichten einem grösstmöglichen Publikum vermitteln. Die Werbeeinnahmen flossen noch reichlich und man glaubte, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Auf die Gründungs-Chefredaktorin Cristina Hospenthal folgte für kurze Zeit Nicole Kurmann, bevor im Jahr 2007 Katrin Spelinova auf der Kommandobrücke Platz nahm. Zu der Zeit hatte die Digitalisierung der Presselandschaft bereits langsam eingesetzt und das Inseratvolumen nahm stetig ab. Im Jahr 2014 zerschellte das Flaggschiff Musikzeitung beinahe an einer Klippe, die da hiess Finanzierung. Das Unheil konnte aber in letzter Sekunde abgewendet werden.
Die Innerschweizerin Katrin Spelinova schloss an der Uni Bern das Studium der Musikwissenschaft, Slavistik und Medienwissenschaften mit dem Lizentiat ab.
An der Karlsuniversität in Prag absolvierte sie ein Austauschjahr und verliebte sich in Stadt und Land. Schon während des Studiums arbeitete sie am Berner Stadttheater in der Bibliothek und in der Dramaturgie. Nach ihrem Studienabschluss blieb sie noch eine Weile dort und wechselte dann zu einer Handelsfirma in Schaffhausen, die mit Russland geschäftete. Dort besorgte sie unter anderem Übersetzungen Russisch-Deutsch. 1998 wechselte sie ins Künstlerische Betriebsbüro und später ins Orchesterbüro am Opernhaus Zürich, wo sie auch das Sekretariat des damaligen Chefdirigenten Franz Welser-Möst betreute. Auf einer ihrer Pragreisen lernte sie ihren Mann kennen und zog 2001 zu ihm. 2003 kamen sie mit ihrem kleinen Sohn in die Schweiz zurück, da die Zukunftsaussichten in Tschechien eher beschränkt schienen. 2004 kam eine Tochter zur Welt. Langsam fasste Katrin Spelinova beruflich wieder Fuss und kam über verschiedene Jobs zum Verband Musikschulen Schweiz VMS und betreute dort die Verbandsseiten in der SMZ. 2007 bot sich ihr die Gelegenheit, in die Chefredaktion der SMZ zu wechseln.
Frau Spelinova, heute ist Redaktionsschluss. Sind Sie im Stress?
Nicht mehr als an den übrigen Tagen. Wenn alle Texte gleichzeitig eingehen, kann es schon stressig werden, zumal einige meiner sehr geschätzten Autorinnen und Autoren manchmal etwas zu spät abgeben. In der Regel sind die zwei Wochen vor dem Druck eher turbulent, alles Planbare sollte schon vorher erledigt sein. Bei Redaktionsschluss müssen wir uns auf die Endproduktion konzentrieren, auf die Bildersuche, das Redigieren der Texte und den Seitenplan in Abstimmung mit dem Inseratevolumen und der Anzahl der von den Verbänden gebuchten Seiten.
Online kommt das Ganze anders daher. Eine einfache Rezension wird von meiner Kollegin Pia Schwab zum Beispiel zu einem Artikel mit Bildern und Tonbeispielen ausgebaut. Online kann man Auditives einbauen, schliesslich sind wir ja eine Musikzeitung. Die im Zusammenhang mit der gedruckten Ausgabe stehenden Beiträge müssen hochgeladen und korrekt verlinkt werden. Aktiviert werden sie erst, nachdem die Zeitung erschienen ist. Manche Veranstaltungsberichte sind aus Aktualitätsgründen aber schon vor der Printausgabe online. Daher gibt es auch die umgekehrte Verlinkung: In der Printausgabe platzieren wir QR-Codes, mittels derer man rasch zum Online-Artikel gelangt.
Die Zeitung wird jeweils am Dienstag gedruckt und erscheint am Mittwochmorgen. Dann müssen wir Gas geben, damit online alles rechtzeitig aktualisiert wird.
«Wir schwören auf einen niederschwelligen Zugang. Kultur ist für alle da. Wir verzichten bewusst auf eine harte Paywall»
Wie lange gibt es die Onlineausgabe schon?
Der Webauftritt wurde vor ca. 20 Jahren von meiner Vorgängerin Cristina Hospenthal geschaffen, damals noch in kleinerem Rahmen. Er bestand vor allem aus Dienstleistungen und dann und wann einer Nachricht. 2013, beim grossen Relaunch des Blattes, wurde die Website stark ausgebaut.
Die Online-Zeitung ist unter Ihrer Leitung zu einem Organ mit einer Fülle von tagesaktuellen Nachrichten geworden. Woher beziehen Sie die Informationen?
Für die tagesaktuellen Informationen arbeiten wir mit Wolfgang Böhler zusammen. Er screent regelmässig, was in der internationalen Musikwelt, in den Kantonen und Gemeinden vor sich geht und liefert täglich eine bis zwei aktuelle Meldungen. Das ergibt eine Sammlung von Nachrichten, die nirgendwo sonst zu finden ist. Hier sind wir exklusiv, das höre ich auch immer wieder in verschiedenen positiven Feedbacks. Ich bekomme täglich unzählige Mails und treffe jeweils eine Auswahl dessen, was interessieren könnte und schalte solche Nachrichten unverzüglich online.
Kann man von der Onlineausgabe, auch angesichts der tagesaktuellen Anteile, eigentlich von einem eigenständigen Medium sprechen?
Ja, es handelt sich um zwei verschiedene Medien unter einer Marke, der Schweizer Musikzeitung. In die gedruckte Ausgabe kommen die vertiefenden Texte unseres jeweiligen Focus-Themas; Beiträge also, die nicht in erster Linie an die Tagesaktualität gebunden sind – eine solche ist mit neun gedruckten Ausgaben pro Jahr nicht das Ziel. Die Webplattform hingegen ist geeignet für Aktualitäten, aber auch als Archiv. Der grosse Vorteil ist, dass man nach Jahren noch Zugriff auf nahezu alle Artikel hat. Das Web ist auch flexibler zu handhaben. Man kann Neues ausprobieren, Ergänzendes einbringen, Tonbeispiele oder auch mehr Fotos einfügen.
Inzwischen sind viele Leserinnen und Leser nur noch auf der Webseite unterwegs. Dort kann auch das «E-Paper», ein PDF der Printausgabe, heruntergeladen werden. Das ist im Gegensatz zu den direkt auf der Website erscheinenden Artikel allerdings kostenpflichtig. Das E-Paper kostet, wie die Printausgabe, 70 Franken pro Jahr. Alle Mitglieder der angeschlossenen Verbände bekommen die SMZ kostenlos.
Sie machen also jetzt zwei Zeitungen. Das bedeutet ja eine Verdopplung der Arbeit in der gleichen Zeit…
Ja, das ist schon so.
Was ist der Vorteil dieser Zweigleisigkeit?
Man erreicht mehr Publikum. Mit dem Print erreicht man eher die Älteren und jene, die lieber auf Papier lesen. Auf der anderen Seite deckt das Web das Schnelllebige, das Aktuelle und die rasche, umfassende Information ab. Die Webpräsenz ist auch unabdingbar als Marketinginstrument. Manche Internetuser erfahren durch das Anklicken eines unserer Artikel überhaupt erst von der Existenz unserer Fachzeitschrift. Inzwischen sind wir auch über Facebook, Instagram und Twitter zu erreichen.
Wir stellen fest, dass die Online-Besucherzahlen ständig zunehmen. Am meisten wird nach wie vor der Stellenanzeiger angeklickt.
«Die SMZ muss es geben, weil die gesamte musikalische Gemeinschaft dieses Landes einen Treffpunkt jenseits von Genre-, Sprach- und Regionengrenzen braucht.»
Wird bei der Leserschaft die gedruckte Zeitung immer noch als wertvoller angeschaut?
Es ist immer noch so, dass diejenigen, über die wir schreiben, vorzugsweise im Print erscheinen wollen. Manche sind etwas enttäuscht, wenn «ihr» Artikel als Anriss erscheint und der Rest «nur» online nachzulesen ist. Das ist auch nachzuvollziehen bei dieser hohen Auflage von rund 19'000 Exemplaren. Das Problem hat sich aber in letzter Zeit etwas entschärft.
Wenn man auf die SMZ-Webseite geht, muss man keine Werbung über sich ergehen lassen, keine Cookies akzeptieren und erst noch nichts zahlen. Das ist echt paradiesisch…
Ja, wir schwören auf einen niederschwelligen Zugang. Kultur ist für alle da. Wir verzichten bewusst auf eine harte Paywall. Kostenpflichtig sind nur das erwähnte E-Paper und der Zugang zum Archiv. Wir arbeiten auch nicht mit einem Internetvermarkter zusammen, daher gibt es keine Werbe-Pop-ups. Das kommt für mich nicht in Frage. Wir verkaufen bloss integrierte Werbebanner, so haben wir alle unsere Inhalte unter Kontrolle.
Ein Wort zur Geschichte der SMZ. Die Trägerschaften haben ja in den letzten Jahren verschiedentlich gewechselt.
Der Status Quo ist die Galledia Fachmedien AG. Diese gehört zur Galledia, einem grossen Verlagshaus in der Ostschweiz.
Vorher waren Sie aber noch bei CH Media und bei der NZZ Fachmedien AG zu Gast…
Ja, die letzten Jahre waren turbulent. 2014 geriet die SMZ in eine Finanzierungs- und Identitätskrise. Quasi in letzter Minute tauchte eine neue Perspektive auf: Thomas Müllerschön, damals zuständig für die Produktion der SMZ beim St. Galler Tagblatt, bot an, die SMZ in die eben neu gegründete NZZ Fachmedien AG aufzunehmen, was für die Verbände und das bestehende Redaktionsteam ein gangbarer Weg bedeutete. Nach wenigen Jahren gründete die NZZ mit den AZ-Medien das Joint Venture CH Media. Dort landete neben den NZZ Regionalmedien auch die NZZ Fachmedien AG und damit auch die SMZ. Und schliesslich wurde die SMZ im letzten Oktober von Galledia übernommen.
«Die SMZ war von Beginn an ein Erfolgsmodell, welches auf einer Kombination von bezahlten Verbandsseiten und einem redaktionellen Teil beruht.»
Braucht es denn überhaupt einen Verlag?
Ein Verlag ist für eine Zeitung mit einer Auflage von rund 19'000 Exemplaren im heutigen, immer schwieriger werdenden Medienumfeld sehr hilfreich. Für Medienlaien, wie es zum Beispiel auch der Verein Schweizer Musikzeitung war, sind die Anforderungen in den Bereichen Werbung, Layout, Druck, Inkasso und Löhne allein kaum mehr professionell zu stemmen.
Welche Verbände stehen hinter der SMZ?
Bei der Gründung 1998 dabei waren der Schweizerische Musikverband SMV, der Verband Musikschulen Schweiz VMS, der Schweizerische Musikpädagogische Verband SMPV, der Schweizer Musikrat SMR, der Eidgenössische Orchesterverein EOV und die Jeunesse Musicale de Suisse (heute nicht mehr dabei). Heute sind, wenn man auch die Unterorganisationen mitberücksichtigt, über 30 Verbände in der SMZ eingebunden.
Welche waren Vorläuferorgane der SMZ?
Der VMS hatte «Animato», der SMPV die «Schweizerischen Musikpädagogischen Blätter», der EOV «Sinfonia», und der SMV «Presto». Ausserdem gab es bis 1983 eine «Schweizerische Musikzeitung», deren Wurzeln bis ins Jahr 1879 reichen. Das war eine renommierte eher musikwissenschaftlich ausgerichtete Zeitung. Von 1984 bis 2018 gab der Schweizerische Tonkünstlerverein (2017 in den neuen Verband SONART – Musikschaffende Schweiz fusioniert) vierteljährlich die «DISSONANCE», die «Schweizer Musikzeitschrift für Forschung und Kreation» heraus. Eine andere Schweizer Musikzeitschrift von vergleichbarer Breite wie die SMZ gibt es nicht. In Deutschland hat die SMZ allerdings eine Art «grosse Schwester», die Neue Musikzeitung (NMZ).
Trotz aller Schwierigkeiten kann man aus heutiger Sicht doch von einer Erfolgsgeschichte sprechen, oder?
Ja, mehr denn je. Gerade in der heutigen, schwierigen Zeit spüren die Verbände, dass es ein gemeinsames Identifikationsmedium braucht, das einen zusammenbringt und der Musikwelt als Sprachrohr dient. Es gehört für viele inzwischen zur Imagepflege, in der SMZ präsent zu sein.
Das Redaktionsteam ist sehr schlank aufgestellt…
Wir haben zu dritt total 235 Stellenprozente. Pia Schwab betreut das Ressort Rezensionen und weitere Rubriken, übersetzt aus dem Französischen und sichert die sprachliche Qualität. Jean-Damien Humair sorgt für gute französische Texte nicht nur aus der Romandie und koordiniert und verantwortet die Verbandseiten. Daneben haben wir eine Reihe freier Autorinnen und Autoren. Wenn wir zu Dritt nicht so gut harmonieren würden, wäre das alles in der Besetzung nicht zu schaffen.
«Wenn man heute ein Printprodukt herausgibt, muss es seriös und sorgfältig gemacht sein. Man muss um relevante Informationen bemüht sein und sie so aufbereiten, dass sie ankommen.»
Wie funktioniert das Themensetting?
Unser Konzept sind Schwerpunktthemen (Focus), die sich jeweils an einem Begriff orientieren. 2021 sind es die Themen «Hausmusik», «Portemonnaie», «Stimme», «Tiere», «Pause», «Corona», «Nebenfiguren», «Jura» und «Wege». Diese Begriffe werden zusammen mit der Redaktionskommission früh diskutiert und festgelegt. Dann geht es an die Feinausarbeitung. Es ist uns wichtig, den Berichtemix nicht zu abgehoben, sondern spannend, ansprechend und in der ganzen Breite des musikalischen Geschehens zu gestalten. Dieses Konzept hilft uns, immer wieder neue Zugänge zur Musik zu finden, unsere Themen bewusst und gezielt zu setzen.
Wie sieht Ihre Arbeitswoche aus?
Ich sitze im Prinzip täglich acht Stunden am Bildschirm, beobachte die Musikpublizistik, bearbeite die vielen Mails, sortiere aus, mache eine Triage, schaue, was auf die Webseite kommt und was in die Printausgabe. Bei der Textredaktion gilt das Vier-Augen-Prinzip. Oft gehört auch ein Faktencheck dazu, damit möglichst keine fehlerhaften Aussagen einfliessen. Vor der Drucklegung wird noch korrekturgelesen. Das geschieht meistens über das Wochenende. Früher hatten wir ein Lektorat. Das wurde aufgrund der Sparmassnahmen gestrichen. Ein Grossteil meiner Arbeitszeit entfällt auf Administratives. Die Pflege der internen Kommunikation ist wichtig, da wir ja seit jeher dezentral arbeiten, ich in Brunnen, Pia Schwab in Bern und Jean-Damien Humair in Lausanne. In der Endphase der Produktion kommt es darauf an, dass alles passt, dass wir genügend Bilder und Text haben. Da kann es schon einmal Diskussionen mit dem Layouter geben. Haben wir zu viel Text, können wir zum Glück auf die Webseite ausweichen.
Die Arbeit ist im besten Sinne abwechslungsreich. Das gefällt mir, denn ich sehe mich als Generalistin, die gerne viel Verschiedenes macht.
Wie beurteilen Sie die Problematik der heutigen Medienlandschaft?
Wenn man heute ein Printprodukt herausgibt, muss es seriös und sorgfältig gemacht sein. Man muss um relevante Informationen bemüht sein und sie so aufbereiten, dass sie ankommen. Der Print wird vermutlich bleiben, insbesondere bei Fachblättern wie dem Unsrigen, doch für die Tageszeitungen wird es immer schwieriger. Vielleicht werden sie zu Wochenzeitungen, wer weiss.
Warum muss es eine SMZ geben?
Die gesamte musikalische Gemeinschaft dieses Landes braucht einen Treffpunkt jenseits von Genre- Sprach- und Regionengrenzen. Die SMZ ist ein wichtiges landesweites Sprachrohr, das die Bedürfnisse von Musizierenden, seien es Profis oder Laien, öffentlich macht. Und natürlich muss die SMZ hochstehendes Lesevergnügen bieten, das die Offenheit gegenüber dem unerschöpflichen Thema Musik auch unter Fachleuten wachhält.
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Als einer meiner besten Freunde erfuhr, dass mein Buch über Streichquartette den Titel «Was nicht im "Heimeran“ steht» erhalten sollte, stellte er die rhetorische Frage: «Wer kennt denn Heimeran noch?»
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