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Wie auch bei dem lange Johann Christian Bach zugewiesenen Konzert in c-Moll handelt es sich bei dem Georg Friedrich Händel zugewiesenen Konzert in h-Moll um eine Fälschung von Henri Casadesus. In dem Aufsatz «Apokryph, Plagiat, Korruptel oder Falsifikat» (in: Die Musikforschung, 20. Jg., Heft 4, Kassel 1967, S. 413-425) stellt Walter Lebermann unmissverständlich klar, dass beide Konzerte keinen Bezug zu den Komponisten des 18. Jahrhunderts haben. Außerdem kann sich Lebermann auf eine Auskunft der Witwe von Henri Casadesus berufen, die die Fälschungen ihres Mannes bestätigt.
Schon bald nach dem Erscheinen im Jahre 1924 bei dem Verlag Eschig in Paris (das Konzert erschien dort auch in Solofassungen für Violine, Violoncello, Oboe und Trompete) kamen Zweifel an der Echtheit der vermeintlichen Komposition Händels auf, gegen die sich Henri Casadesus mehrmals beschwichtigend verteidigte, indem er beteuerte, dass es sich um eine Originalkomposition handeln würde – allerdings ohne weitere Informationen preiszugeben.
Zweifel klingen auch in einem englischen Zeitungsartikel an, der am 3. Dezember 1943 unter dem Titel «Editing old Music. Ethics of Treatment» in The Times in London veröffentlicht wurde: «Between composer and listener there is an intermediary – the performer. [...] [H]owever, [there is] another intermediary, who operates between composer and performer in music written before the last quarter of the eighteenth century.
He is the editor. His work is necessary to the modern performance of old music since in the evolution of the art changes of instrument, of convention, of notation, have separated the executant from an understanding of the old composer's text. The editor may have to transcribe from lute or harpsichord to piano; he may have to realize a figured bass; he may have to interpret for singers the graces which tradition has almost forgotten. In all these and other such matters three things are required of him – knowledge, honesty and taste.
Handel and the viola provide convenient object lessons of the way an editor should and should not set about his task. There is a concerto in B minor scored for two flutes and strings, not to be traced in the list of Handel's works, but falling agreeably upon the ear. Its editor, Henri Casadesus, who prepared it for a Paris society interested in old instruments and their music, does not explain the suspicious fact that it is cast in only three movements – an andante between two allegro movements. Nor does he say where he found the music, or whether it was written originally for viola d'amore. He covers his tracks.»
Auch der Händel-Forscher Hans Joachim Marx berief sich auf Lebermann. Dieser habe 1967 «überzeugend dargelegt, daß die Komposition keine 'Rekonstruktion' aus überliefertem Quellenmaterial ist, sondern eine dem Händelschen Stil nachempfundene Fälschung des bekannten Viola-Virtuosen Henri Gustave Casadesus (1879-1947). Da sich weder handschriftliche Vorlagen noch thematische Entlehnungen aus gesicherten Werken Händels nachweisen lassen, kann auch nicht von einer Bearbeitung oder Orchestrierung gesprochen werden. Ähnlich wie bei dem von seinem Bruder Marius Casadesus (1892-1981) herausgegebenen, Mozart zugeschriebenen 'Adelaide'-Konzert KV Anh. 294a, hat Henri Casadesus versucht, mit dem 'Händel'-Konzert die im Entstehen begriffene Alte-Musik-Szene mit einem anscheinend unbekannten Werk Händels zu verblüffen. Obwohl die Komposition spätestens seit 1967 als Fälschung bekannt ist, hat der Verlag der Erstausgabe sie unter Händels Namen wiederholt nachgedruckt (zuletzt 2000). Als ein Werk Händels ist es verschiedentlich auch eingespielt worden, u.a. von William Primrose mit dem RCA Victor Symphony Orchestra unter der Leitung von Frieder Weissmann (PEARL, Gemm CD 9252, LC 1836), wiederaufgelegt unter dem Namen Casadesus als Viola Concerto in the Style of Handel (Naxos 8.110316).»
(Siehe Hans Joachim Marx und Steffen Voss, Die G. F. Händel zugeschriebenen Kompositionen, 1700-1800 / The compositions attributed to G. F. Handel, 1700-1800 (HWV Anh. B), Hildesheim 2017, Anh. B, F 03, S. 221-223, sowie: https://www.americanviolasociety.org/PDFs/Education)
Das Orchester ist übrigens folgendermaßen besetzt: 2 Fl., 2 Fag. und Streicher.
Es ist erstaunlich, dass zu den bekanntesten und meistgespielten Violakonzerten des 18. Jahrhunderts heute eine Komposition gehört, die weder original, noch als besonders gelungene Stilkopie zu bewerten ist. Es ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass es sich bei dem Johann Christian Bach zugewiesenen Violakonzert in c-Moll sowie bei dem Georg Friedrich Händel zugewiesenen Violakonzert in h-Moll um Fälschungen von Henri Casadesus handelt. In dem Aufsatz «Apokryph, Plagiat, Korruptel oder Falsifikat» (in: Die Musikforschung, 20. Jg., Heft 4, Kassel 1967, S. 413-425) stellt Walter Lebermann unmissverständlich klar, dass die Konzerte keinen Bezug zu den Komponisten des 18. Jahrhunderts haben. Außerdem kann sich Lebermann auf eine Auskunft der Witwe von Henri Casadesus berufen, die die Fälschungen ihres Mannes bestätigt.
Dennoch hat sich vor allem das Konzert von J. C. Bach im Konzertleben fest etabliert. Die Ursachen dafür sind allerdings weniger mit der besonderen Qualität der Komposition zu begründen, die genaugenommen so gut wie keine Ähnlichkeiten mit Bachs Kompositionsstil aufweist, sondern eher mit dem Wunsch, das schmale Violarepertoire des 18. Jhts. zu bereichern, was durchaus nachvollziehbar ist. Man muss auch berücksichtigen, dass die Fälschungen in einer Zeit aufkamen, in der man kaum Zugang zu den Originalquellen hatte und über viele uns heut landläufig bekannte Komponisten so gut wie nichts wusste. Der Ansatz, Unbekanntes auf diese Art bekannt zu machen, erscheint uns heute höchst fragwürdig, trug aber mit Sicherheit zu einem wachsenden Interesse an bestimmten Werken oder Komponisten bei.
Im Falle des Violakonzerts in c-Moll (das auch in Fassungen für Violine bzw. Violoncello kursiert) sollte es sich um eine 1768 in London entstandene Komposition handeln, die laut Vorwort der Erstausgabe von 1947 bei Salabert als ursprüngliche Fassung für «Viole, Violoncello, Viola ou Viola Pomposa avec essai d'accompagnement de Piano à marteaux» vorlag, und die Henri Casadeus 1916 von Camille Saint-Saëns, dem Ehrenpräsidenten der Société des Instruments Anciens, einer Institution, die sich der Förderung der Alten Musik verpflichtete und die Casadesus 1901 gegründet hatte, erhielt. Casadesus will dann das Werk «rekonstruiert» und mit Harmonien versehen haben, während sein Bruder, Francis, die Orchestrierung besorgte.
In dem Briefroman Das Gesetz des Irrsinns beschreibt Dieter Kühn seine ersten Eindrücke von dem Konzert in c-Moll: «Und ich selber, als Rezipient? Ich bin nicht resistent gegenüber Fälschungen. Zwar höre ich viel Musik, auf Tonträgern wie in Konzerten, zwar habe ich hin und wieder einen Essay über Musikrezeption geschrieben, habe gelegentlich eine Musiksendung moderiert im WDR oder SWR – und doch war (und bin) ich begeistert über ein Viola-Konzert, das Johann Christian Bach zugeschrieben wurde.
Vor zwanzig, dreißig Jahren hatte ich es (zum ersten und einzigen Mal) im Funk gehört, hatte es vielleicht auch mitgeschnitten auf Tonband [...]. Noch jetzt [...] habe ich das Eröffnungsthema des Bratschenkonzerts im Kopf, es gehört zum festen Bestand der Musik-Erinnerungen. Der zweite und dritte Satz haben allerdings keine Spuren hinterlassen.
Das Thema des ersten Satzes klingt freilich wie ein Echo auf das Werk von Urvater Bach und nicht auf Werke seines Sohnes Johann Christian. Ich habe mich in dessen Œuvre (wie in das seines Bruders Carl Philipp Emanuel) eingehört, im Lauf von Jahren, und muss konstatieren: Die beiden genannten Söhne haben, in Symbiosen mit ihrer Zeit, jeweils einen eigenen, neuen Stil entwickelt. [...]
Hätte ich damals schon Musik von Johann Christian Bach im Ohr, im Kopf gehabt, so wäre mir, hoffentlich, der krasse Stilunterschied aufgefallen. Erst recht hätte Experten, Musikwissenschaftlern die Zuschreibung auffallen müssen: Kann stilistisch nicht vom Londoner Bach stammen, was ist da los?!
Nun, es liegt eine Fälschung vor. Und zwar, das muss ich gleich betonen: Eine Fälschung, die mir auf Anhieb gefiel und mir weiterhin gefällt, obwohl ich längst weiß ... [...].
Zum Tathergang und Tatbestand: Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Henri Casadesus, Geiger aus der Casadesus-Musikerdynastie, dieses Konzert kreiert hat. [...] Problem ist nur: das Repertoire an Kompositionen für die Bratsche ist eng. So wurde es von Henri Casadesus klammheimlich erweitert.
Und wie verhält sich die Musikbranche nach der Enttarnung? Diese Frage hole ich nach und staune: Das Werk hat noch Präsenz! Auf YouTube einige Mitschnitte von Konzertaufführungen, vor allem im östlichen Europa, interpretiert von Bratschern, deren Namen mir fremd sind, deren Interpretationen überzeugen. Da klingt der Eröffnungssatz genauso frisch, wie ich ihn in Erinnerung behalten habe, zumindest fragmentarisch.
Der langsame Satz hingegegen hat sich, wie schon angedeutet, nicht weiter eingeprägt. Hier lautet die Satzbezeichnung: Adagio molto espressivo. Das klingt eher nach 19. als nach 18. Jahrhundert! Aber Bratscher werden hier bestens bedient: viele Sequenzen in den tiefen Lagen des Instruments, satter Sound lässt sich entfalten.
Ist diese Musik, obwohl als Fälschung längst entlarvt, nicht kleinzukriegen? Nein, das Werk liegt sogar im Druck vor. Das Titelbild wird von Amazon reproduziert: Violakonzert 'im Stil von J. C. Bach'. Henri Casadesus wird gleichfalls genannt, als 'Herausgeber'. So zieht man sich aus der Affaire.»
(Siehe Dieter Kühn, Das Gesetz des Irrsinns, Frankfurt am Main 2013, S. 474-476.) – Und man möchte hinzufügen, dass auch Verlage wie Edition Peters das Konzert mit einer irreführenden, bzw. tradierten Titelzuweisung anbieten: http://www.edition-peters.de/product/konzert-fur-viola-und-orchester-c-moll/ep8878
Dass das Werk heute im Lehrbetrieb und Konzertleben noch immer diesen einflussreichen Stellenwert einnimmt, ist kaum noch verständlich, denn inzwischen liegen viele Originalkompositionen des 18. Jhts. in modernen Editionen vor, die allein durch ihre Überlieferung, aber auch qualitativ weit über Casadesus' Werk stehen. Anderseits kann das Werk auf eine gewisse Aufführungstradition zurückblicken, die den Konzertunternehmern offenbar einen nicht zu vernachlässigenden Absatz garantiert. (Siehe auch: https://theviolaexperiment.wordpress.com/2013/03/30/j-c-bach-concerto-in-c-minor/ oder http://www.americanviolasociety.org/PDFs/Journal/JAVS-2_2.pdf [S. 10-16] und Ernest Warburton, Thematic Catalogue [= The collected works of Johann Christian Bach, Bd. 48/1], New York 1999, Nr. YC 98, S. 573.)
Das Orchester ist übrigens folgendermaßen besetzt: 2 Fl., 2 Ob., 2 Fag., 2 Hn., 2 Tr., Pk. und Streicher.
https://www.youtube.com/watch?v=Jpy3oviJGIM
(Aufnahme mit Wolfram Christ und den Berliner Philharmonikern unter Lorin Maazel.)
Es ist bekannt, dass Niccolò Paganini Berlioz zur Komposition der Programmsinfonie Harold en Italie anregte. Die merkwürdigen Umstände eines Besuchs Paganinis hielt Berlioz in seinen Memoiren fest: «'Ich habe eine wundervolle Bratsche', erzählte er [Paganini] mir, 'eine herrliche Stradivari, und ich würde sie gern einmal öffentlich spielen. Aber ich habe kein Stück ad hoc. Wollen Sie mir ein Solo für Bratsche schreiben? Ich mag diese Arbeit nur Ihnen anvertrauen.' 'Gewiss', antwortete ich ihm, 'Ihr Vertrauen schmeichelt mir mehr, als ich sagen kann, nur – um Ihre Erwartungen zu erfüllen, um in einer solchen Komposition einen Virtuosen wie Sie angemessen zur Geltung zu bringen, muss man Bratsche spielen können, und ich kann es nicht. Mir scheint, nur Sie allein könnten dieses Problem lösen.' 'Nein, nein, ich bestehe darauf', sagte Paganini, 'es wird Ihnen gelingen; ich selbst fühle mich momentan viel zu krank, um zu komponieren, daran ist nicht zu denken.'
Um dem berühmten Virtuosen einen Gefallen zu tun, versuchte ich also, ein Solostück für Bratsche zu schreiben, ein Solo jedoch, das auf eine Weise mit dem Orchester verbunden war, dass dieses nicht in den Hintergrund gedrängt wurde, denn ich war sicher, dass Paganini mit seiner unvergleichlichen spielerischen Präsenz dafür sorgen würde, dass die Bratsche immer die Hauptrolle behielt. Die Aufgabe erschien mir neu, und bald hatte ich in meinem Kopf ein vielversprechendes Konzept entwickelt und machte mich mit Feuereifer daran, es in die Tat umzusetzen. Kaum war der erste Satz fertig, wollte ihn Paganini auch schon sehen. Beim Anblick der Pausen, welche die Bratsche im Allegro hatte, rief er: 'Das geht nicht! Ich habe da viel zu lange tacet; ich muss unentwegt spielen.' 'Ich habe es ja gesagt', antwortete ich, 'Sie wollen ein Konzert für Bratsche, und in diesem Fall können nur Sie allein es für sich selber schreiben.' Paganini erwiderte nichts, er schien enttäuscht und ging, ohne noch weiter über meine sinfonische Skizze zu sprechen. Einige Tage später reiste er, bereits an der Kehlkopfkrankheit leidend, an der er sterben sollte, nach Nizza, von wo er erst drei Jahre später zurückkehrte.
Als ich erkannte, dass sich meine Kompositionsidee nicht für ihn eignete, bemühte ich mich, sie anderweitig auszuarbeiten, ohne mir länger darüber Gedanken zu machen, wie die Solobratsche möglichst virtuos hervortreten könnte. Ich stellte mir eine Folge von Szenen für Orchester vor, in denen die Bratsche mehr oder weniger wie eine handelnde Person auftreten sollte, die immer ihren eigenen Charakter bewahrt; ich wollte aus der Bratsche, indem ich sie mit den poetischen Erinnerungen umgab, die ich von meinen Streifzügen durch die Abruzzen behalten hatte, eine Art melancholischen Träumer machen wie Byrons Childe Harold. Daher der Titel der Sinfonie: Harold en Italie.» (Siehe Hector Berlioz. Memoiren, Neuübersetzung, hrsg. von Frank Heidlberger, übersetzt von Dagmar Kreher, Kassel 2007, Kapitel XLV, S. 268 ff.)
Berlioz' Kompositionsautograph im Besitz der Bibliothèque nationale de France in Paris steht online zur Verfügung (Signatur: MS-1189 (1)): http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b550065087
Daneben ist dort auch eine Abschrift eines von Franz Liszt angefertigten und von Berlioz durchgesehenen Klavierauszugs erhalten (Signatur: MS-171): http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b55006760
Berlioz war zwar nicht der erste, der die Bedeutung der Bratsche als Solo-Instrument in der Orchestermusik erkannte, allerdings ist seine zusammenfassende Definition im Traité d'instrumentation et d'orchestration aus dem Jahr 1843 (1905 ergänzt von Richard Strauss) durchaus aufschlussreich: »Von allen Instrumenten im Orchester ist die Viola dasjenige, dessen ausgezeichnete Eigenschaften man am längsten verkannt hat. Sie ist ebenso behend wie die Violine, der Ton ihrer tiefen Saiten besitzt einen eigentümlichen, herben Klang, während ihre Töne in der Höhe einen traurig= leidenschaftlichen Ausdruck annehmen; ihr Klangcharakter im allgemeinen ist von tiefer Schwermut und unterscheidet sich merklich von dem der anderen Streichinstrumente. Gleichwohl ist sie lange Zeit unberücksichtigt geblieben, oder nur, ebenso gehalt= wie nutzlos, dazu verwendet worden: die Baßstimme in der höheren Oktave zu verdoppeln. Verschiedene Ursachen vereinigten sich zu dieser ungerechten Dienststellung dieses edlen Instrumentes. Erstlich wußten die Meister des 18ten Jahrhunderts, da sie selten real vierstimmig setzten, zum größten Teile nicht recht, was sie mit der Viola machen sollten; wenn sie nicht gleich einige Noten fanden, die sie ihr zur Ausfüllung der Harmonie geben konnten, so zögerten sie nicht, das leidige col basso hinzuschreiben, und zwar bisweilen mit so großer Unaufmerksamkeit, daß eine Oktavenverdoppelung der Baßstimme daraus entstand, die bald mit der Harmonie, bald mit der Melodieführung, bald mit beiden zugleich in Widerspruch geriet. Ferner war es unglücklicherweise nicht möglich, damals für die Viola irgend eine bedeutsamere Stelle, die selbst ein nur gewöhnliches Talent zur Ausführung erfordert hätte, hinzuschreiben. Die Violaspieler wurden stets aus dem Ausschusse der Violinspieler entnommen. War ein Musiker unfähig, den Violinposten genügend zu bekleiden, so wurde er zur Viola versetzt. Daher kam es, daß die Bratschisten weder Violine noch Viola spielen konnten. Ich muß sogar gestehen, daß dieses Vorurteil gegen die Violastimme auch in unserer Zeit nicht gänzlich erloschen ist, daß es in den besten Orchestern noch Violaspieler gibt, die so wenig die Viola wie die Violine zu behandeln wissen. Doch sieht man neuerdings immer mehr die Mißlichkeiten ein, die aus der Duldung solcher Leute entstehen, und so wird die Viola nach und nach, ebenso wie die anderen Instrumente, nur geschickten Händen anvertraut werden. Ihr Klangcharakter erregt und fesselt die Aufmerksamkeit derartig, daß es nicht nötig ist, im Orchester die Violen in gleicher Anzahl wie die zweiten Violinen zu besetzen, und die ausdrucksvolle Beschaffenheit dieses Klangcharakters ist so hervorstechend, daß er in den sehr seltenen Fällen, wo die alten Komponisten ihr ans Licht treten ließen, niemals verfehlt hat, ihren Erwartungen zu entsprechen.« (Siehe Instrumentationslehre von Hector Berlioz. Ergänzt und revidiert von Richard Strauss, Teil 1, Leipzig 1905, S. 67.)
Bachs autographe Partituren zu den beiden Quartetten in G (Wq 95 bzw. H 539) und D (Wq 94 bzw. H 538) für Flöte, Viola, Clavier und Bass sind zusammen in einer Handschrift überliefert und befinden sich heute im Notenarchiv der Sing-Akademie zu Berlin (Signatur: SA 3328). Die Quelle ist als Digitalisat verfügbar: http://digital.staatsbibliothek-berlin.de  Von dem dritten Quartett in a (Wq 93 bzw. H 537) in gleicher Besetzung ist kein Autograph auffindbar.
Es ist erstaunlich, dass der Henle-Verlag, der für seine qualitätvollen Urtext-Ausgaben bekannt ist, sich dazu hinreißen lässt, von den drei Sonaten für Viola da gamba und obligates Cembalo auch Fassungen für Violoncello bzw. Viola anzubieten, die jeglicher Quellengrundlage entbehren. Begründet wird diese Entscheidung folgendermaßen: «Angesichts der bereits bei Bach üblichen Bearbeitungspraxis liegt es nahe, die Gambensonaten in einer modernen Ausgabe neben dem Originalinstrument auch für die verwandten Besetzungen Violoncello und Viola anzubieten. Hiermit wird einer zu Recht lange etablierten Aufführungstradition Rechnung getragen. [...] Die Violastimme wählt gelegentlich die dem Tonumfang des Instruments angemessene Oktavlage abweichend von der Originalgestalt. Die betreffenden Abschnitte sind in der Stimme gekennzeichnet.»
Diese Rechtfertigung ist durchaus nachvollziehbar, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus aber zu kritisieren. Es erscheint fragwürdig, ob die modernen Bearbeitungen unter dem Urtext-Label vermarktet werden sollten. Was ist aber mit «verwandten Besetzungen» gemeint? Die Bratsche ist mit der Gambe überhaupt nicht verwandt und auch das Cello hat mit seiner Quintstimmung ganz andere Voraussetzungen. Es ist also eine rein pragmatische Lösung, die den Originalkompositionen eigentlich gar nicht gerecht werden kann. Die Berufung auf Bachs Bearbeitungspraxis soll das Vorgehen legitimieren, wirkt in dem Fall aber auch etwas unbeholfen.
Wissenschaftlich-kritische Ausgaben von unbekannten Kompositionen für Bratsche aus dem 18. Jahrhundert zu produzieren – die übrigens durchaus existieren – erscheint vielen Verlagen wenig lukrativ. Die Produktion von Ausgaben mit bearbeiteten Werken namhafter Komponisten bildet dagegen ein «Geschäft», das zwar seine Tradition, aber auch das Potenzial hat, den Markt zu überschwemmen. Das Argument ist immer: Es gäbe ja keine Literatur. Inzwischen ist das Angebot von spielpraktischen Bearbeitungen allerdings so unüberschaubar, dass man kaum noch zu unterscheiden weiß, was original und was Bearbeitung ist.
Es ist seit langem bekannt, dass es sich bei dem Georg Friedrich Händel zugewiesenen Violakonzert in h-Moll (auch erschienen für Violine, Violoncello, Oboe und Trompete), wie auch bei dem Johann Christian Bach zugewiesenen Violakonzert in c-Moll (auch erschienen für Violine und Violoncello) um Fälschungen von Henri Casadesus handelt. Bewusst wurde die Öffentlichkeit getäuscht. In dem Aufsatz «Apokryph, Plagiat, Korruptel oder Falsifikat» (in: Die Musikforschung, 20. Jg., Heft 4, Kassel 1967, S. 413-425) stellt Walter Lebermann unmissverständlich klar, dass die Konzerte keinen Bezug zu den Komponisten des 18. Jahrhunderts haben. Außerdem kann sich Lebermann auf eine Auskunft der Witwe von Henri Casadesus berufen, die die Fälschungen ihres Mannes bestätigt.
Neben den beiden o.g. Konzerten wurde eine weitere Komposition in D-Dur, die vermeintlich als «original Concerto for Viols [Quinton, Viola d'amore, Viola da gamba und Basse de viole]» von C. P. E. Bach in einer Handschrift im Besitz von Charles Guillon a Bourg-en-Bresse vorlag, in verschiedenen «Arrangements» veröffentlicht: zuerst 1909 (1911) für kleines Orchester von Maximilian Steinberg bei dem Verlag Édition Russe de Musique in Berlin, Moskau, St. Petersburg, Leipzig, London, New York, Brüssel, Paris (Besetzung: Fl., 2 Ob., Fag., Hn. und Streicher), 1931 von Henri Casadesus auch als Suite für Streichquartett oder Streichorchester sowie als Solo-Konzert für Violine oder Viola und Orchester bzw. Klavier bei Schirmer in New York.
Nach unserem heutigen Wissen muss man davon ausgehen, dass Casadesus Steinbergs Edition für sich nutzte, bzw. dass der eigentliche Urheber allein Casadesus war. (Siehe auch Rachel W. Wade, The Keyboard Concertos of Carl Philipp Emanuel Bach, Ann Arbor 1981, X9, S. 279-282, und E. Eugene Helm, Thematic Catalogue of the Works of Carl Philipp Emanuel Bach, New Haven 1989, Nr. 497, S. 108).
Nur wenige Exemplare des Violin- bzw. Violakonzerts sind öffentlich zugänglich. In der British Library in London wird ein Exemplar des Klavierauszugs von 1931 unter der Signatur g.48.h.(1.) aufbewahrt.
Bei diesem Konzert für Bratsche handelt es sich um eine moderne Bearbeitung, der eine zeitgenössische, mutmaßlich ursprüngliche Fassung Bachs für Violoncello, Streicher und B.c. (Wq 171 bzw. H 436) zugrunde lag. Das etwa 1751 entstandene Konzert liegt außerdem auch in von Bach autorisierten Fassungen für Cembalo (Wq 28 bzw. H 434) und Flöte (Wq 167 bzw. H 435) vor.
Eine Stimmenabschrift des Violoncellokonzerts in der Musik- och teaterbiblioteket in Stockholm ist online zugänglich (Signatur: Alströmer saml. 146:19): http://carkiv.musikverk.se/www/Bach_C_P_E_Konsert_Violoncell_B_dur_Wq_171_Alstromer.pdf
Die Sonate in B-Dur veröffentlichte Corrette 1773 in seinen Méthodes pour apprendre à jouer de la Contre-basse à 3, à 4 et à 5 cordes, de la quinte ou alto et de la viole d'Orphée, nouvel instrument ajusté sur l'ancienne viole. Sie dürfte aber schon wesentlich früher komponiert worden sein. Es handelt sich wohl um die einzige generalbassbegleitete Solo-Sonate für Bratsche, die in Frankreich im 18. Jahrhundert publiziert wurde. Eine Neu-Edition der Sonate steht auch online zur Verfügung (Corpus pédagogique pour l'alto: de Corrette [1773] à Elwart [1844], hrsg. von Frédéric Lainé, Sprimont 2002, insb. S. 74 ff.): https://books.google.de/books (Die Sonate in D-Dur für 2 Bratschen ist dort ebenfalls neu ediert, siehe S. 70 ff.)

Sonaten f-moll und cis-moll für Violoncello und Klavier
Habe bei Jecklin & Co (Zürich) kurz vor Schliessung der Filiale obige zwei Sonaten des fast unbekannten «Komponisten» gefunden ! Nicht etwa leicht zu spielen !!  Balthasar Steinbrüchel

Eine digitale Reproduktion der Quelle, die sich in der Morgan Library & Museum in New York befindet (Signatur: Cary 302), steht online zur Verfügung: http://www.themorgan.org/music/manuscript/114530

Die Triosonate in Es für Violine, Viola und B.c. aus Bibers Harmonia artificioso-ariosa von 1696 erschien 1956 als Neuausgabe in der musikwissenschaftlich-kritischen Editionsreihe der Denkmäler der Tonkunst in Österreich (Bd. 92, S. 44-52). Dort sind auch die skordierten (verstimmten) Stimmungen der Instrumente im Nürnberger Erstdruck angegeben.

Bei den vier Sinfonien GWV 574, 575, 607 und 608 handelt es sich eigentlich um Doppelkonzerte für 2 Bratschen. Die Hörner sind nicht obligat, d.h. sie haben keine solistische, sondern lediglich harmoniefüllende Funktion.

Die einzige erhaltene Quelle des Konzerts für Viola, 2 Flöten, 2 Hörner und Streicher in G bildet eine zeitgenössische Stimmenabschrift, die im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar überliefert ist (Signatur: HMA 3845). Der Kopist des ersten Stimmensatzes konnte im Rahmen einer Studie als Johann Nikolaus Ambrosius, Schreiber am herzoglich-weimarischen Hof, identifiziert werden (siehe Cornelia Brockmann, Instrumentalmusik in Weimar um 1800, Sinzig 2009, insb. S. 175-187). Das Konzert dürfte spätestens 1786 entstanden sein, wie aus Aufführungsvermerken auf einem der Blätter der Handschrift hervorgeht. 2009 erschien das Konzert als Ersteinspielung auf dem Album «Weichet nur, betrübte Schatten» mit dem Bratschisten Nils Mönkemeyer beim Label Sony:
1. Allegro: https://www.youtube.com/watch?v=uNQssR2kROc
2. Grazioso: https://www.youtube.com/watch?v=dK6xmbnByi4
3. Rondo. Allegro: https://www.youtube.com/watch?v=28UOxamJv9Q

Von dem Konzert in F für Viola, 2 Oboen, 2 Hörner und Streicher, das vermutlich Anfang der 1780er Jahre entstand, ist sowohl das Kompositionsautograph im Notenarchiv der Sing-Akademie zu Berlin (Signatur: SA 2533), als auch eine zeitgenössische Weimarer Stimmenabschrift im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar (Signatur: HMA 3852) erhalten. Letztere diente der Edition von Wolfgang Birtel als Grundlage. Was den Herausgeber allerdings zu der Vermutung führt, dass dieser Stimmensatz vom Komponisten selbst stammen könnte, ist unklar. Inzwischen lässt sich mit Sicherheit sagen, dass fast sämtliche Stimmen der Abschrift von einem Kopisten aus dem Weimarer Umfeld Wolfs angefertigt wurden und zwar von einem Schreiber, der im Rahmen einer Studie als Johann Nikolaus Ambrosius identifiziert werden konnte (siehe: Cornelia Brockmann, Instrumentalmusik in Weimar um 1800, Sinzig 2009, insb. S. 175-187). Der erste Stimmensatz des Violakonzerts in G von Antonio Rosetti, der ebenfalls im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar überliefert ist (Signatur: HMA 3845), stammt ebenfalls von Ambrosius.

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