Die Seele des Klangs

 

Der Streichinstrumentenbau hat eine jahrhundertealte Tradition. Doch Weiterentwicklungen und Neuerungen gibt es immer wieder. Eine davon heisst Anima Nova und betrifft die Seele des Instruments: den Stimmstock.

 

Niklaus Rüegg – Der Stadtmusikdirektor und Leiter der städtischen Musikschule in Rastatt, Pál Molnár, war schon seit Kindsbeinen ein Tüftler mit einem grossen handwerklichen Geschick. An seiner Musikschule reparierte er eigenhändig die beschädigten Leihinstrumente und beschäftigte sich immer mehr mit dem Geigenbau. Er besuchte Kurse und bildete sich auf diesem Gebiet weiter. Aufgrund seines aussergewöhnlichen Gehörs spezialisierte er sich mit der Zeit auf die Klangeinstellung. Molnár fing an, sich mit dem Stimmstock, der «Seele» der Streichinstrumente auseinanderzusetzen. Immer mehr professionelle Musiker vertrauten ihm ihre Instrumente an, um den Klang zu optimieren. Beim Stimmstock, auch «Stimme» genannt, muss auf drei Dinge geachtet werden: auf die richtige Länge, auf die ideale Position im Korpus und auf die richtige Anpassung der Enden, damit sie im gewölbten Instrument perfekt aufliegen. Einen Stimmstock perfekt einzusetzen ist ein Prozess, der sehr viel Präzision und äusserste Sorgfalt erfordert. Schliesslich kam Molnár auf die Idee, einen höhenverstellbaren Stimmstock aus Karbon zu entwickeln. Als er 2009 in Ruhestand ging, machte er sich an die Realisierung dieser Idee. Anfang dieses Jahres verstarb Molnár. Sein Sohn arbeitet heute für die Firma. Er stand Music4Viola Red und Antwort.

Karbon ist ein Werkstoff, der aus der Raumfahrt kommt. Hat Karbon auch akustische Qualitäten?

Ja, das hat er. Einige Teile von Instrumenten werden inzwischen aus Karbon gefertigt. Es gibt Bögen aus Karbon aber auch ganze Streichinstrumente werden damit hergestellt. Karbon klingt gut und ist weniger empfindlich als Holz.

Warum ist in der jahrhundertealten Geigenbauertradition noch niemand auf die Idee gekommen, für diesen ausschlaggebenden Teil der Klangproduktion mit andern Materialien als dem traditionellen Fichtenholz zu arbeiten?
Es gab immer wieder Versuche, andere Materialien einzusetzen. Das vergleichsweise weiche Fichtenholz, das normalerweise für Stimmstöcke verwendet wir, wurde auch schon durch das härtere Ahorn ersetzt.

Warum haben sich höhenverstellbare Stimmstöcke bisher nie durchgesetzt?
Mit verstellbaren Stimmstöcken wurde schon vor zweihundert Jahren experimentiert, aber die Resultate waren nie überzeugend. Ausschlaggebend für das beeindruckende Klangresultat von Anima Nova ist das eingefräste Präzisionsgewinde, mit dem die Höhe in minimalen Einheiten von Zweihundertstelmillimetern verstellt werden kann.

Beruht die phänomenale Synchronisierungs- bzw. Frequenzleitfähigkeit von Anima Nova mehr auf dem Material, auf der perfekten Passform durch das Kugelgelenk oder auf der Höhenverstellbarkeit?
Die entscheidende Innovation ist definitiv die Höhenverstellbarkeit. Damit können die auf das Instrument wirkenden Kräfte für jeden Spieler individuell austariert und so das beste Klangresultat gefunden werden. Natürlich tragen auch die exakt längs angeordneten Kohlefasern des Karbons zu einer besseren Frequenzleitfähigkeit bei, als das weichere, und damit auch bestimmte Frequenzbereiche schluckende Fichtenholz. Die Kugelgelenke sorgen überdies für eine vollständige Auflage am Korpus und gewährleisten damit eine optimale Synchronisation der Schwingungen zwischen Korpusboden und -decke.

Ein grosses Problem für die Streichinstrumente stellen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen dar. Welche Vorteile bietet hier Anima Nova?
Je nach klimatischen Bedingungen kann die Stimme minim verstellt werden, um so die durch Temperatur bzw. Feuchtigkeit bedingte Ausdehnung oder Schrumpfung des Korpus auszugleichen.

Können Höhenverstellungen vom Spieler selber vorgenommen werden?
Möglich ist das schon, aber idealerweise sollten sie durch einen Fachmann durchgeführt werden.

Wie gelangt der Stimmstock ins Instrument und wie wird er positioniert und eingestellt?
Die Anima Nova wird durch das Auge des F-Loches eingeführt, da sie etwas grösser ist als herkömmliche Stimmstöcke. Wir reden von einem Durchmesser von 7 Millimetern.  Zur Positionierung und Längeneinstellung gibt es Spezialinstrumente.

Gibt es verschiedene Grössen für Violinen, Bratschen, Celli und Bässe?
Nicht beim Durchmesser, bei der Länge ja. Es gibt zwei Grössen pro Instrumententyp.

Die Markteinführung liegt erst vier Jahre zurück. Wie hat sich das Interesse entwickelt?
Natürlich gibt es bei vielen Musikern und Geigenbauern noch Skepsis. Das ist normal bei einem traditionsbehafteten Gebiet wie dem Streichinstrumentenbau und nach einer so kurzen Zeit am Markt. Aber die Musiker, die es ausprobieren sind in der Regel sehr begeistert. Wir haben schon einige Künstler von Weltrang, die mit Anima Nova spielen, wie die Solobratschistin der New York Philharmonics, Cynthia Phelps und Paul Neubauer, ebenfalls New York. In Deutschland spielt der Solobratschist des Beethoven-Orchesters Bonn, Ulrich Hartmann, mit Anima Nova, in England haben wir Louise Lansdown vom Birmingham Conservatory.

Wie sieht es bei den Preisen aus?
Die Verkaufspreise liegt zwischen 399,- € für die Geigenstimme und 599,- € für die Kontrabassstimme. Hinzu kommt das Honorar an den Geigenbauer für den Einbau und die Einstellung. Interessierte Musiker können sich entweder an einen unserer Geigenbaupartner wenden, die auf unserer Website https://www.anima-nova.de gelistet sind oder aber sie sprechen den Geigenbauer ihres Vertrauens an und bitten ihn, uns zu kontaktieren.



Pál Molnár, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Fotos von Mark Walder.

 Harald O. schrieb am 23.11.2019 um 11:54
Siehe Hamberger Soundpost.

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