Übung oder Talent?

Ein Input von Mascha Seitz

Was macht den großen Musiker aus?
Eine der uralten Fragen, wird besonders unter Musikern heiß diskutiert. Was macht denn nun den Meister, Übung oder Talent? Beziehungsweise wie wichtig sind die beiden jeweils für den Erfolg des Musizierenden?

Violaspieler - iStockÜbung
Der renommierte britische Musikpsychologe Professor John Sloboda glaubt nicht an Talent. Talent als genetisches Geschenk hält er für einen Mythos. Aus seiner Sicht hat die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die genetischen Voraussetzungen um gut Musik spielen zu können.

Für die Musikalität einzelner Menschen seien jedoch die ersten fünf bis sechs Lebensjahre entscheidend. Hier wird der Grundstein gelegt, weshalb es wichtig sei Kindern ein Umfeld zu bieten, in dem Musik präsent ist. So hat er in einer Untersuchung mit 113 Probanden herausgefunden, dass Musiker sich überwiegend an die schönen und erhebenden Erlebnisse beim Musizieren erinnern.  Dagegen haben Nichtmusiker überwiegend emotional negativ geladene Erinnerungen, die mit dem Gefühl einhergingen, unmusikalisch zu sein.

Einer der größten Verfechter der Übung ist der schwedische Psychologe K. Anders Ericsson, der erstmals 1993 in einer seiner Arbeiten die 10.000 Stunden-Regel aufstellte. Diese wurde später durch den Bestseller 'Überflieger' von Malcom Gladwell populär. Gladwell zeigt auf, dass Meister ihres Faches 10.000 Stunden Übung benötigen. Mit genügend Übung könne man alles erreichen.

Aber dass Übung nicht gleich Übung ist, liegt auf der Hand. So analysierte Ericsson mit Kollegen des deutschen Max-Planck-Instituts in einer Studie das Übungsverhalten und die Fortschritte von Musikstudenten der Berliner Universität der Künste. Die Studenten beschäftigten sich zwischen 50 und 60 Stunden pro Woche mit Musik. Doch was am Ende den Unterschied an den Ergebnissen ausmachte, war die Intensität der Übungsstunden.

Violaspielerin - GemeinfreiTalent
Es gibt eine sehr interessante Studie von Sibylle Herholz vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn, die im Jahr 2015 veröffentlicht wurde. In dieser Studie wurden mehrere Probanden vor ein und dieselbe musikalische Aufgabe gestellt. Alle 15 Personen die zuvor noch nie Klavier gespielt hatten, erhielten sechs Wochen Unterricht darin, Melodien nach Gehör zu spielen. Die Ergebnisse unterschieden sich enorm. Während die einen bereits nach zwei 30-minütigen Übungssessions die Melodien spielen konnten, brauchten andere die fünffache Übungszeit für denselben Erfolg.

Vor und nach dem Kurs wurden die Gehirne der Probanden untersucht. Aus älteren Untersuchungen war bekannt, dass mit der Praxis der Übung neue Verbindungen zwischen den Hirnarealen gebildet werden, die für das Hören und für die Motorik der Finger zuständig sind. Neu war allerdings, dass die talentierteren Probanden bereits vor dem Klavierkurs höhere Aktivitäten in den folgenden Hirnarealen aufwiesen: Hippocampus (Verarbeitung und Speicherung von Stimuli), prämotorischer Cortex und Nucleus Caudatus (Erzeugen und lernen von Bewegungsmustern).

Während Herholz von einer 'Prädisposition' spricht, drängt sich dem Nichtwissenschaftler doch der Begriff Talent auf, wenn er sich das Untersuchungsergebnis ansieht.

Die Frage die offen bleibt ist, warum diese Hirnareale bei dem einen ausgeprägter sind, als bei dem anderen. Möglicherweise unterstützten die Übungen bestimmter Sportarten oder sonstiger Aktivitäten den Lernprozess am Klavier.

Insgesamt haben vielleicht beide Recht. Mit ausreichend Übung werden die Hirnareale aktiviert und durch Talent, aus bestimmten vorausgegangenen Aktivitäten unterstützt.

Viola lernen - iStockLeidenschaft
Wie so oft bringen uns Studien immer nur ein Schritt weiter ins Detail und der Wahrheit nur einen kleinen Schritt näher. Denn was möglicherweise wirklich den Erfolg am Instrument ausmacht ist die mentale Einstellung und die Leidenschaft.

Dazu zählt in erster Linie besonders die Motivation. Wenn ein Kind übt um die Eltern zufrieden zu stellen und die Zeit am Instrument nur 'absitzt', wird weitaus weniger hängen bleiben als bei einem Kind, das von sich aus Begeisterung für die Musik und das Instrument entwickelt und es beherrschen will. Hier wird auch der Unterschied zwischen der extrinsischen und der intrinsischen Motivation deutlich.

Mit intrinsischer Motivation in Reinform ist hier gemeint, wenn der Spieler um des Spielens Willen spielt. Das heißt, im Spiel aufgeht und im Moment des Praktizierens seine Erfüllung findet.  Jemand der spielt weil er beim Auftritt glänzen will, einen Preis beim Vorspiel ergattern will oder sich durch ähnliche äußerliche Anreize leiten lässt, wird weitaus weniger Ergebnisse erzielen, als derjenige, der voller Begeisterung und Hingabe beim Spielen die Zeit vergisst.

Der Glücksforscher Mihalyi Csikszentmihalyi bezeichnet so einen Zustand als „Flow“ und erklärt diesen so: «Jemand, der sich (in dieser Intensität) auf eine Tätigkeit konzentriert ... erfährt ein Paradox: Er fühlt sich nicht mehr als eigenständiges Individuum, er verschmilzt mit seiner Aufgabe, doch sein Selbst wird stärker.»

Üben im Flow ist also wesentlich effektiver, als bloßes Üben. Und das macht vielleicht den Unterschied zwischen einem begabten und einem weniger überzeugenden Musiker aus.

Musizieren - GemeinfreiZum Abschluss noch ein Zitat
"It really doesn't matter how long. If you practice with your (body), no amount is enough. If you practice with your head, two hours is plenty."
(K. Anders Ericsson)
 
Frei übersetzt:
Es spielt wirklich keine Rolle wie lang. Wenn Sie mit Ihrem Körper üben, wird keine Menge genug sein. Wenn Sie mit Ihrem Kopf üben, sind zwei Stunden reichlich.
(K. Anders Ericsson)

 
Quellen
http://www.zeit.de/2008/02/P-John-Sloboda
http://www.zeit.de/2015/44/talent-uebung-musik-lernen-forschung
http://www.focus.de/wissen/mensch/begabung-reine-uebungssache_aid_387887.html
http://www.handelszeitung.ch/unternehmen/konzentration-fokus-auf-das-hier-und-jetzt
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