«That's it!» |
Der Geigen-, Bratschen- und Cellobau ist kein Beruf für’s stille Kämmerlein. Wohl verbringt der renommierte deutsche Streichinstrumentenbauer Wolfram Neureither rund 50 Prozent seiner Arbeitszeit in seiner Werkstatt im südfranzösischen Montpellier, doch der Austausch mit seinen Kollegen und die vielen Auslandreisen, um Instrumente zu liefern oder zu warten oder um Messen oder Ausstellungen zu besuchen, nehmen viel Zeit in Anspruch. Der 1967 in Eberbach, Deutschland geborene Neureither lernte seinen Beruf in den Jahren 1990-93 an der Geigenbauschule in Newark-on-Trent in England, einer damals jungen und innovativen Schule. Dort lernte er, ohne die Last alter Traditionen und begeistert vom Enthusiasmus und der Liebe zum Detail zu Werke zu gehen.
Nach Montpellier kam Neureither, weil ihm nach seinem Berufsabschluss der Geigenbauer Frédéric Chaudière aus Montpellier eine Anstellung als Assistent anbot. In den Achtziger Jahren gab es noch drei Werkstätten in der Stadt, zwei in der Tradition der Geigenbauschule von Cremona und eine in der von Newark-on-Trent. Infolge einer kontinuierlichen Zunahme von Mitarbeitern, die sich allmählich selbständig machten, erhöhte sich die Zahl der Werkstätten auf aktuell vierzehn und verlieh so der Stadt am Mittelmeer den Status einer Geigenbau-Metropole.
Im Jahr 2000 eröffnete Neureither seine eigene Werkstatt. Fast ein Drittel seiner Kreationen sind Bratschen. Geigen und Cellos machen die andern zwei Drittel aus. Am Wettbewerb von Pisogne, Italien, wurde er für eine seiner Bratschen ausgezeichnet und erhielt den Sonderpreis für den besten Klang. Bei der Bratsche mag er die Freiheiten und Variationsmöglichkeiten. Mitunter verwendet er beim Bau einfache Schwartenstücke direkt vom Förster und erzielt damit sehr gute Resultate. Zu seinen zahlreichen begeisterten Bratschen-Kunden gehören zum Beispiel Michael Klotz, Noemie Funez-Palencia, Anne-Sophie van Riel und Martin Hahn.
Er ist regelmässig zu Gast bei Ausstellungen in Europa, den USA und Fernost, ist Mitorganisator eigener Events, Akademien und Festivals in Montpellier. An einem internationalen Workshop in Izmir, Türkei, unterrichtet er Geigenbauschüler. Als Geiger spielt er selber in verschiedenen Ensembles. Der Streichinstrumentenbauer bekommt viel Lob aus der ganzen Welt. Auf eines ist er besonders stolz: Als ein befreundeter Geigenhändler aus New York ein Instrument von ihm probierte, rief dieser begeistert aus: «That's it!».
Herr Neureither, Montpellier gehört neben Cremona zu den führenden Geigenbauzentren der Welt. Warum haben sich ausgerechnet hier so viel Geigenbauer von Weltruf versammelt?
Montpellier ist eine wunderschöne Stadt, verwöhnt von viel Licht und einem milden Klima. Das Musikleben ist relativ rege mit einem «Orchestre National», einer grossen Musikschule und dem «Festival Radio France-Montpellier» in den Juliwochen. Die Stadt besitzt mit der «Opera Comedie» ein wunderschönes Theater im italienischen Stil und mit dem «Corum» einen der grössten und modernsten Konzertsäle des Landes. Paris und der Rest der Welt sind dank TGV und Flughafen von hier gut zu erreichen. Das ist sehr wichtig, da man beim Neubau von Geigen angewiesen ist auf einen internationalen Markt. Die Spezifizität der zwölf bis vierzehn Werkstätten hier in der Stadt ist, dass sich jede exklusiv oder zumindest zu einem sehr hohen Anteil dem Neubau von Geigen, Bratschen und Celli widmet. Und die Mehrzahl von Assistenten, die einst hier Anstellung fanden, machte sich hier in der Stadt selbständig, wie ich damals.
Wann begann die Geigenbautradition in Montpellier?
Montpellier ist bekannt für die älteste Medizinschule Europas und seine Universität. Gab es auch in den letzten Jahrhunderten hin und wieder Geigenbauer in der Stadt, so setzte eine musikalische «Tradition» erst in den Siebziger Jahren ein mit der Gründung des Orchestre de Montpellier; und eine geigenbauerische dann Anfang der Achtziger mit der Ansiedlung – fast zeitgleich – von drei Geigenbauern, zwei Absolventen der Geigenbauschule Cremona und einem Absolventen der Geigenbauschule in Newark-on-Trent.
Welches ist für Sie persönlich der Mehrwert davon, dass einige renommierte Kollegen in Ihrer Nachbarschaft arbeiten?
Der Austausch mit vielen meiner Kollegen ist sehr angenehm, intensiv und freundschaftlich. Das verhindert Umwege und spart Zeit, zum Beispiel, wenn es um gute Lackrezepte, die besten Quellen für Holz oder die Wiederentdeckung verlorengegangener Techniken geht. Dank dieser Zusammenarbeit und Dynamik konnten wir in der Vergangenheit einige grosse und ambitionierte Projekte organisieren: die grosse Stradivariausstellung von 2008 mit über 20 Instrumenten des Meisters und dem Konzert eines kompletten Stradivari-Orchesters, das Geigenbauerfestival von 2011, und über viele Jahre hinweg Meisterkurse mit international renommierten Solisten und begabten Schülern.
Was entgegnen Sie Vorurteilen, wonach der Geigenbau ein verstaubtes, altmodisches Handwerk sei?
In der Tat ist Geigenbau ein sehr altmodisches Handwerk – und darüber bin ich sehr stolz! Das scheint in diesem Fall zu bezeugen, dass die Geige eine der erfolgreichsten und perfektesten Erfindungen der Geschichte ist – und einfach nicht zu verbessern!
Bauen Sie sämtliche Streichinstrumente?
Alle ausser Kontrabass.
Welche Instrumente liegen Ihnen am besten?
Die innigste Verbindung habe ich wohl zur Geige, die ich auch selbst spiele. Beim Cello liebe ich die imposanten Dimensionen, das ist von Zeit zu Zeit sehr erfrischend und nähert sich schon etwas der Möbelschreinerei an.
Bei der Bratsche mag ich die Freiheiten und Variationsmöglichkeiten, was die Grösse anbelangt, die Auswahl des Holzes, die Höhe und Form der Wölbungen, Feinheit oder eher Rustikalität der Arbeit – bei der Bratsche kann alles erfolgreich sein.
Gleicht der Arbeitsalltag eines Instrumentenbauers dem eines einsamen Tüftlers der, abgeschieden von der Welt, wochen- und monatelang an seinem Werk feilt?
Geigenbauer ist einer von heutzutage sehr wenigen Berufen, bei denen der komplette Arbeitsprozess in einer Hand liegt: vom Schneiden des Holzes bis zur Lieferung des fertigen Instruments und der Einstellung zusammen mit dem Kunden. Da bleibt eher wenig Zeit für monatelange Tüftelei abgeschieden von der Welt. Ich denke im Gegenteil, die Welt, die einen umgibt zu sehen und zu erfahren, ist ein Garant bei der Schaffung eines Instruments von guter Qualität.
Wie viel von Ihrer Arbeitszeit, in Prozenten ausgedrückt, verbringen Sie am Instrument in Ihrer Werkstatt?
Ich verbringe wohl ungefähr 50 Prozent meiner Arbeitszeit am Instrument in der Werkstatt. Dann gibt es einige Prozent für Papiere, Telefon oder E-Mails und danach einen grossen Anteil, der Reisen gewidmet ist, um Instrumente zu liefern oder zu warten, oder die Teilnahme an Messen oder Ausstellungen. Mehrmals im Jahr bin ich in Taiwan, China oder Japan oder in Deutschland und verschiedenen Ländern Europas.
Wie viel Zeit nimmt der Bau eines guten Instruments in Anspruch?
Betrachtet man eine späte Geige von Guarneri del Gesu ist man geneigt zu dem Schluss zu kommen, dass eine sehr, sehr gute Geige zu bauen, sehr schnell gehen kann – vorausgesetzt, der Geigenbauer ist erfahren und hat ein gutes Konzept und beste Materialien.
In welchem Rahmen bewegen sich die Kosten?
Die Kosten eines Instrumentes setzen sich in erster Linie aus der Arbeitszeit und auch dem Renommee des Geigenbauers zusammen. Die Materialkosten übersteigen selten 10 Prozent.
In wie weit können Sie Wünsche nach einem bestimmten Klang oder einer spezifischen, auf den Musiker abgestimmten Bauart erfüllen?
Das ist sehr schwierig. Mit den Jahren, denke ich, entwickelt man eine gewisse Erfahrung, was die Interaktion von Holzauswahl, Modell, Wölbungstypen, Stärken der Platten usw. anbelangt. Und wenn man da auch manchmal falsch liegen kann, ist immerhin die Tatsache beruhigend, dass man am fertigen Instrument noch eine Vielzahl von Einstellungen vornehmen kann, etwa die Platzierung und Länge des Stimmstocks, die Höhe und Form des Steges, die Auswahl der Saiten...
Wie viel besser spielt ein guter Musiker auf einem, auf seine Bedürfnisse zugeschnittenem Instrument, als auf irgendeinem Instrument «von der Stange»?
Ein guter Musiker sollte auf fast jedem Instrument gut spielen können. Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe des Geigenbauers, d.h. gerade der Effekt «von der Stange» sollte, zumindest bei Geigen oder auch bei Celli, eingehalten
werden im Bezug auf Saitenlängen, Saitenhöhen usw. Gewisse Sonderwünsche von Musikern zu erfüllen, ist für uns Geigenbauer glaube ich oft sehr schwierig, weil es da nicht selten um Bruchteile von Millimetern oder noch so geringe Veränderungen von Formen geht. Gleichzeitig sind es aber gerade diese winzigen Details, die uns von der Spielweise, der Philosophie oder gar der Psychologie des Musikers erzählen. Sehr oft allerdings freue ich mich auch über Musiker, die eine gewisse Bereitschaft haben, sich einem Instrument anzunähern. Diese Bereitschaft ist natürlich oft grösser –leider – bei einem italienischen Instrument des 18. Jahrhunderts von beträchtlichem Wert, als bei einem Neugebauten.
Woher beziehen Sie die Bauteile?
Ein sehr schöner Effekt des «Geigenbauzentrums» Montpellier ist, dass seit vielen Jahren Holzhändler aus Osteuropa hier Halt machen. Da finden sich schon sehr schöne Stücke (Ahorn), direkt vor die Haustüre geliefert. Vor einigen Jahren habe ich Ahorn in meinem Dorf im Odenwald gekauft. Einfache Schwartenstücke im Wald direkt vom Förster. Für Bratschen funktioniert das sehr gut und ist auch ästhetisch befriedigend. Viele Celli baue ich in Pappel und es gibt manche Kunden die diese meinen Ahorncelli vorziehen. Alle Fichtenstücke für Decken beziehe ich von Holzhändlern im Alpenraum, dem Südtirol und aus Norditalien.
Welchen Anteil haben die Materialien am Klang?
Das Holz ist natürlich von allergrösster Wichtigkeit für den Klang, wobei, wie vorgehend erwähnt, gutes Klangholz nicht unbedingt immer tiefgeflammter Ahorn sein muss. Das Alter ist sicherlich von Bedeutung, wichtiger jedoch sind nach meiner Meinung der Wuchs, die Dichte und auch der Zeitpunkt des Fällens des Baumes. Hat man die Wahl zwischen einem alten aber schweren Fichtenstück und einem relativ frischen aber leichten, so sollte die Wahl auf das letztere fallen.
Wie viele Bratschen haben Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn schon geschaffen?
Ich habe meine Instrumente nicht gezählt, aber es werden so an die 50 Bratschen sein.
Welches sind Ihre berühmtesten, erfolgreichsten und dankbarsten Bratschenkunden?
Michael Klotz vom Amernet Quartett spielt eine Bratsche von mir. In letzter Zeit waren erfolgreiche und dankbare Kunden Anne-Sophie van Riel, die in Freiburg studiert und eine gute Karriere beginnt, oder Noemi Funez, eine sehr begabte Bratscherin aus Madrid, die seit einem Jahr am Konservatorium Reina Sophia studiert. Die Dankbarkeit ist da übrigens ganz meinerseits. Ich bin sicher, beide werden sehr würdige Vertreter einer neuen Musikergeneration sein.
Gibt es Stammkunden, die schon verschiedene Instrumente bei Ihnen bestellt haben?
In den meisten Fällen bleibt es doch bei einem Instrument. Es gibt einen Sammler in Shanghai, der mehrere Instrumente von mir besitzt: Geigen, Bratsche und Cello. Oder
auch Lehrer, die irgendwann an Schüler weitergeben und dann nachbestellen. Ich habe noch nie Barockinstrumente gebaut, aber ziehe das in Zukunft in Erwägung. Mehrere meiner Kunden spielen Modern und Barock, und da gibt es manchmal Anfragen.
Schildern Sie Ihre schwierigste berufliche Situation, die Sie bisher erlebt haben.
Vor einigen Jahren hat eine sehr, sehr gute junge Geigerin meine Geige für die Zugabe ihres Konzertes gespielt. Sie wollte sie danach sofort kaufen, jedoch hatte ich sie am Morgen desselben Tages schon anderweitig verkauft. Und einige Zeit später hat sie mir nochmal ein Mail geschickt, mit der Anfrage, ob es die «Wundergeige» noch gebe...
Woran arbeiten Sie jetzt gerade?
Ich lackiere gerade ein Cello.
Wolfram Neureither, herzlichen Dank für den spannenden Einblick in die Arbeit eines Streichinstrumentenbauers.
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