Herr über einen Violaschatz |
Niklaus Rüegg - Die in seinem epochalen Bratschenführer «Musik für Bratsche • Das reiche Viola-Repertoire von Aaltonen bis Zytowitsch» beschriebene Literatur hat Konrad Ewald alle selber gespielt, beschrieben und archiviert. Das Allermeiste davon ist, oder war, in seinem Besitz und ist säuberlich geordnet in seinem grossen
Haus in Liestal an den Wänden aufgereiht. Da gibt es allerhand Noten – und nicht nur für Bratsche. Wie in vordigitaler Zeit in den öffentlichen Bibliotheken üblich sind in «uralten» Karteikästen – das Format gibt es heute nicht mehr – sämtliche Partituren nach Autor, Titel und Besetzungen abgelegt. In den Sechziger Jahren hat er damit angefangen. Was er weggegeben hat, hat er rot markiert.
Neben den Noten und Nachschlagewerken stehen da eine Menge CDs und LPs, aber auch deutsche, französische, griechische und lateinische Literatur sowie unzählige Bildbände über ferne Länder. Viele der CDs sind in einem Gestell eingeordnet, das er erst Ende April von Erich Wyss von Musica Classica bekommen hat, welcher sein Geschäft am Spalenberg aufgegeben hat. Ganz oben auf dem Gestell stehen sämtliche «Romantic Piano Concertos» von Hyperion, eine Serie, die 1990 angefangen hat. Da gibt es nur unbekannte Komponisten zu finden, kein Brahms, kein Schumann, kein Grieg und kein Chopin, dafür Namen wie Litolff, Ries, Scharwenka und andere. Wie könnte es anders sein: Auch seine Aufnahmen sind in einer Kartei aufgelistet.
Am Abend sitzt er in seinem Lehnstuhl und hört Musik.
Erfahrender Violaspieler
Als Bratschist hat Ewald eine fast lebenslange Musiziererfahrung und ist immer noch in verschiedenen Kammermusik-Ensembles aktiv. Jahrzehntelang hat der Zweiundachtzigjährige im Orchester Liestal gespielt. Seit über 20 Jahren spielt er in unveränderter Besetzung in einem Quartett – ausser ihm alles Profis. Hin und wieder gibt es Konzertauftritte im privaten Rahmen. Auch in anderen Formationen wirkt er gastweise mit. Im Sommer 2018 folgt er einer Einladung an eine Kammermusikwoche in Frankreich, an der Streichquartette von Glinka, George Onslow, José Bragato. Joaquín Turina und das Klavierquintett von Max Bruch einstudiert werden. Ewald schätzt es, unbekannte aber hervorragende Werke aufzuspüren und aufzuführen. Allzu oft ist er, insbesondere unter Profis, Leuten begegnet, die sich nur für die bekannten Stücke interessieren.
Vor ein paar Jahren kam der Leiter und Begründer von www.music4viola.info auf ihn zu und regte ein Projekt an, für die Viola eine neue digitale Plattform zu schaffen. Hierfür würde er gerne sein Buch «Musik für Bratsche» als Basis verwenden. Ewald willigte ein, obwohl er aus Überzeugung keinen Computer und kein Internet hat. Er übergab portionenweise Noten aus seiner Sammlung, um sie nach und nach für die Webseite aufzubereiten. Erfasst werden Umschlag und erste Seiten, die unter anderem mittels Flipbook-Funktion auf Music4Viola angeschaut werden können. Immer mehr werden so auch die noch lieferbaren Titel diverser Verlage im integrierten Onlineshop angeboten. Für einen Teil seiner Noten bedeutet die nächste Station die Vera-Oeri-Bibliothek. Ihr vermacht Ewald alle seiner bereits digital erfassten Stücke für und mit Viola.
Wir sitzen am Stubentisch mit einem herrlichen Ausblick in Richtung Lausen und Sissach.
Herr Ewald, Sie sind eine Persönlichkeit, die sich um die Bratschenmusik verdient gemacht hat...
Wenn Sie meinen, ich hätte mich mein ganzen Leben nur mit Bratschenmusik beschäftigt, täuschen Sie sich. Ich habe einfach gespielt, aus Neugier Noten gekauft und archiviert. Ich bin von meiner Geigenlehrerin Dora Jenny mehr oder weniger genötigt worden, auf Bratsche zu wechseln. Ihr Bruder war Leiter eines Kirchenchors und suchte dringend Bratschisten für sein Orchester. Damals war ich schon achtzehn. Das Instrument hat mich gepackt und nicht mehr losgelassen. Ich habe angefangen Stücke zu suchen und bin zuerst auf die «Märchenbilder» von Schumann und die «Arpeggione-Sonate» von Schubert gestossen. So ging es weiter...
Wieso haben Sie einen eigenen Viola-Führer, «Musik für Bratsche · Das reiche Viola-Repertoire von Aaltonen bis Zytowitsch», geschrieben? Es gibt ja schon den Franz Zeyringer.
Zeyringer ist ein Standardwerk mit einer umfassenden Auflistung der Werke. Ich habe in meinem Buch Beschreibungen zu Charakter und Schwierigkeitsgrad der Werke hinzugefügt. Bei Zeyringer gibt es übrigens viele Fehler. Ich habe ihm zu seinen Lebzeiten immer wieder Fehlerlisten geschickt. Er zeigte sich jedes Mal sehr dankbar.
Ihr Buch kann man auf Music4Viola kaufen. Ist es nach wie vor begehrt?
Nicht mehr so wie früher, aber ich bin ja auch kein Profi. Wichtige Werke sind die «Viola Bibliographie» und die «Viola d'amore-Bibliographie · Das Repertoire für die historische Viola d'amore von ca.1680 bis nach 1800» von Michael Jappe und eben «Literatur für Viola» von Franz Zeyringer.
Kommen Sie aus einem musischen Elternhaus?
Ja, mein Vater war Primarlehrer aber sehr vielseitig tätig. Er war ein enthusiastischer Theatermensch und Gedichteschreiber. Ich habe mit etwa 10 mit Geige angefangen. Alle meine sieben Geschwister haben ein Musikinstrument gelernt. Meine Eltern fanden, jedes Kind sollte dies tun. Vier der acht Geschwister musizieren heute noch, und zwei Söhne meines jüngeren Bruders sind Musiker geworden.
Was für Musik gefällt Ihnen am besten?
Vor allem das 19. Jahrhundert, Bruckner, Brahms, Mahler – auch Sinfonien, nicht nur Bratschenwerke.
Mögen Sie lieber CDs oder LPs?
Beides. Bei den LPs darf man sich halt nicht an kleinen Kratzern stören. Ich habe eine LP mit Quartetten von Schumann und Brahms. Da hört man zwischendrin eine Amsel pfeifen. Das gibt es bei den CDs nicht mehr.
Sie sind Dr. phil. für Deutsch, Französisch und Latein. Wollten Sie nie Berufsmusiker werden?
(Zögert) Nein. Ich war mit allem etwas spät dran. Zuerst wollte ich Medizin studieren, dann habe ich mit Phil I angefangen, aber anfänglich nicht sehr zielbewusst. Ich habe in Französisch eine Dissertation angefangen, dann ist mein Doktorvater gestorben. Bis ich angefangen hatte zu verdienen, war ich dann schon etwa 30.
Wo haben Sie unterrichtet?
An einer Sekundarschule mit progymnasialer Abteilung in Liestal. Ich habe mich im 1996 mit 60 pensionieren lassen.
Sie haben einige Bücher mit kultur- und gesellschaftskritischem Inhalt geschrieben. Wollen Sie der Welt etwas mitteilen oder musste das einfach aus Ihnen heraus?
(Lacht) Ja, das musste raus. Ich habe viele tabubehaftete Themen aufgegriffen, zum Beispiel Religion und Sexualität. Noch als ich als Lehrer tätig war, schrieb ich «Verdrängtes Wissen – ein Lesebuch für freie und offene Menschen und solche, die es werden möchten». So wie bei der Musik habe ich hier Dinge gesammelt und kommentiert, über die die Menschen schlecht informiert sind. Man könnte mich auch als eine Art Missionar bezeichnen.
Sie sind viel gereist?
Ja, aber nicht wegen der Musik... Ich war ein paar Mal in Indien, Afrika, zum Beispiel in Togo und Senegal, wo man heute gar nicht mehr hinein kommt, aber auch in Tunesien und auf den Kapverden, öfters war ich in Sri Lanka.
Was haben Sie aus diesen Ländern für Erfahrungen mitgebracht?
Ich war gern auf Inseln, oft auf Djerba und den Kapverden, aber auch auf den Seychellen, in Mauritius und sogar Sansibar. In den letzten Jahren war ich nur noch auf griechischen Inseln.
In Indien schockierte das Elend auf der Strasse und die Schere zwischen Arm und Reich. Sri Lanka ist ein Naturparadies aber politisch alles andere als problemlos. Ich habe dort aber gute Freunde getroffen, mit denen ich immer noch in Kontakt bin. Heute reise ich nicht mehr gerne weite Strecken. Nach Griechenland möchte ich noch ein paar Mal.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich habe keine Projekte (lacht). Ich kümmere mich um meine Bibliothek und spiele Kammermusik. Wenn mich jemand fragt, ob ich mitmache, sage ich ja oder nein...
Nützliche Links:
Vorwort zum Buch ««Musik für Bratsche • Das reiche Viola-Repertoire von Aaltonen bis Zytowitsch»
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